Die Krux mit der Observationsverordnung

Immer wenn es um Sozialhilfe geht, geht es auch um Menschen, und zwar um die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Das liegt in der Natur der Sache.

Am 14. März 2018 ging es im Gemeinderat um die städtische Observationsverordnung. Fast gleichzeitig ging es im Nationalrat um das nationale Pendant. Und der Kanton Zürich kommunizierte am 12. April, dass er eine Totalrevision des Sozialhilfegesetzes plane. Auf das Verhältnis dieser verschiedenen Gesetze untereinander gehe ich nicht ein, ausser dass auf Bundesebene die Versicherungslobbyisten sehr aktiv waren, was auf Gemeindeebene sicher nicht der Fall war. Dass es überhaupt zu solchen Observationsverordnungen gekommen ist, liegt vereinfacht gesagt an zwei Gründen.

 

  1. Der gesellschaftliche Druck nach Sozialdetektiven wurde vor 10 bis 15 Jahren so gross (aufgrund gewisser medial aufgedeckter Betrugsfälle), dass Sozialdetektive eingesetzt wurden. Dieser Einsatz verlief ziemlich unspektakulär, bis
  2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bezogen auf einen konkreten Fall monierte, dass in der Schweiz eine genügende gesetzliche Grundlage für Observationen durch die Unfallversicherungen fehlte. In der Folge stoppte die Stadt Zürich auch im Bereich der Sozialhilfe die verdeckten Observationen, da auch hier die genügende gesetzliche Grundlage fehlt. Die Observationsverordnung sollen diese bisher fehlende gesetzliche Grundlage bilden.

49 Likes und einige Kommentare habe ich für diesen Facebook-Post erhalten, den ich während der Ratssitzung vom 14. März gepostet habe:

„Für viele Menschen ist es gefühlsmässig ein Unterschied, ob eine Person vom Staat Geld bekommt (Hilfeleistungen), das der Staat bereits hat, aber der Person rechtmässig nicht zusteht, oder ob eine Person dem Staat etwas schuldet (Steuern), das der Staat noch nicht hat, aber dem Staat rechtmässig zusteht.

Obwohl in der Schweiz relativ zum Ausland die Hilfeleistungen hoch sind und die Steuerbelastung tief, ist die Deliktsumme bei den Hilfeleistungen tief und bei den Steuern hoch.

Womit ich persönlich grosse Mühe habe, ist die Möglichkeit niederschwelliger Überwachungsmöglichkeiten, die dazu führt, dass ohne richterlichen Entscheid jemand observiert werden kann. Das ist ein Eingriff in die Privatsphäre und unverhältnismässig.

Ich bin auch dafür, dass Betrüger_innen bestraft werden, aber ohne derartigen Eingriff in die Privatsphäre. Beide Verstösse sollen innerhalb des heute geltenden Rechts verfolgt werden. #grzh“

 

Seit dem 14. März habe ich viele aufschlussreiche Gespräche geführt, viel Interessantes gelesen, viel geschrieben und ebenso viel wieder gelöscht. Und ich bin nicht grundsätzlich gegen Observation.

 

In einem Interview in der WOZ gibt der Staatsrechtler Markus Schefer Antworten, auf diejenigen Fragen, die ich hatte.

 

Zum gefühlsmässigen Unterschied sagt Schefer: „[…] die unterschiedliche Wertung folgt einem Vorurteil: Die, die etwas vom Staat bekommen, sollen gefälligst dankbar sein. Bei den Steuern hingegen erscheint der Staat als eigentliches Problem. Doch das ist kein durchdachtes Staatsverständnis. Letztlich geht es in beiden Fällen darum, rechtliche Verbindlichkeiten durchzusetzen. Der Sozialversicherungsbetrüger steht moralisch nicht schlechter da als ein Steuerpflichtiger, der betrügt. Beide tun genau dasselbe: Sie maximieren ihren persönlichen Vorteil auf Kosten der Allgemeinheit.“

 

Zudem: Niemand (oder zumindest kein_e Politiker_in) käme wohl je auf die Idee, die Steuerpflicht einzuschränken oder gar abzuschaffen, weil gewisse Leute dabei betrügen. Bei der Sozialhilfe ist es aber eben genau so, dass jeder Betrug denen Auftrieb gibt, die die SKOS-Richtlinien weiter demontieren oder die Sozialhilfe oder gleich jede Solidarität gänzlich abschaffen wollen.

Wenn wir das Prinzip der Solidarität und damit das Recht darauf schützen wollen, müssen wir in angemessenem Grad sicherstellen, dass Missbrauch aufgedeckt und geahndet wird.

 

Hauptsächlich geht es bei den verdeckten Observationen ja um das Aufdecken von Schwarzarbeit. Vielleicht sollte man den Spiess umkehren und sagen, dass man ja bloss die Schwarzarbeit korrekt besteuern möchte. Dann würden sich die Mehrheiten schnell kehren, denn Steuerbetrug möchte man ja nicht observieren lassen.

 

Zur fehlenden Bewilligung der Observation durch eine gerichtliche Instanz sagt Schefer: „[…] Ich begreife nicht, warum man nicht den traditionellen Weg genommen und die Überwachung im Strafrecht statt im Sozialversicherungsrecht geregelt hat. Schliesslich gibt es dort bereits den Straftatbestand des missbräuchlichen Bezugs von Sozialleistungen. Man hätte die Strafprozessordnung ändern und für diesen Tatbestand Überwachungen erlauben können. Dann wäre die Staatsanwaltschaft dafür zuständig, eine Observation anzuordnen. Und wir wären im üblichen rechtsstaatlichen Rahmen von Prozessen, die sich eingespielt haben, mit den entsprechenden Rechtsmitteln.“

 

Mehr gibt es dazu gar nicht zu sagen, ausser dies:

 

Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, das umzusetzen, was in Winterthur umgesetzt worden ist. Der Versuch bei der Sozialhilfe Winterthur bestätigte, was Fachleute und die zuständigen Politiker erwarteten und erhofften: Senkt man die Zahl der zu betreuenden Fälle pro Sozialarbeitenden wird die Rechnung positiv. Den Mehrkosten stehen Mehreinnahmen und eine grössere Zufriedenheit aller gegenüber. Das stand zwar so nicht in den Schlussfolgerungen des Versuchs, es ist aber der Fall: bei einer engeren Begleitung nimmt auch der Bezug von unrechtmässigen Leistungen ab.

 

Die beste Lösung bestünde natürlich in der Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Beim BGE lässt sich nicht betrügen, die Missbrauchsbekämpfung und damit die Observation entfällt. Aber das BGE schafft den Sozialstaat auch nicht ab. Es ersetzt einfach die bestehenden Sozialleistungen in seiner Höhe.