Erstes politisches Tandem der SP

Kevin Rauch und Lea Sandoz-Mey bilden gemeinsam das erste politische Tandem der SP. Gemeinsam machen sie Politik und setzen sich für die Inklusion ein. Islam Alijaj, frisch gewählter Nationalrat und SP9-Mitglied, hat sie zu einem Gespräch getroffen.

Kevin Rauch (38) hat eine kognitive Beeinträchtigung und arbeitet als Koch. Er hat die Kundgebung zum internationalen Tag für Menschen mit Behinderungen auf dem Helvetiaplatz mitorganisiert. Lea Sandoz-Mey (23) hat einen Bruder mit einer kognitiven Beeinträchtigung und setzt sich seit einigen Jahren für die Rechte und politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein. Sie studiert Politikwissenschaften und arbeitet als Projektleiterin im Inklusionsbereich. Islam Alijai hat die beiden zu einem Gespräch getroffen, um mit ihnen über ihr politisches Tandem zu sprechen.

 

Islam: Ihr seid in einem politischen Tandem. Könnt ihr kurz erklären, was das ist?

 

Kevin: Ein politisches Tandem ist, wenn zwei Personen Interesse an der Politik haben und sich gemeinsam entscheiden, in die Politik zu gehen. Ein politisches Tandem nimmt gemeinsam an Sitzungen und Veranstaltungen der Partei teil. Sie diskutieren gemeinsam über politische Themen und bilden gemeinsam ihre Meinung.

 

Lea: Ein politisches Tandem erleichtert den Einstieg in die Politik und hilft Barrieren abzubauen.

 

Islam: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein politisches Tandem zu bilden?

 

Kevin: Lea wusste, dass ich schon lange in die Politik möchte und hat mich gefragt, ob ich mit ihr ein Tandem bilden möchte.

 

Lea: Genau, ich habe meine Bachelorarbeit über die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in den Schweizer Parteien geschrieben. Dabei habe ich Interviews mit Poltiker*innen mit Behinderungen geführt. Ich wollte herausfinden, welche konkrete Massnahmen es braucht, damit Menschen mit Behinderungen an der Politik teilnehmen können. Eine konkrete Massnahme, die genannt wurde, ist das politische Tandem. Kevin und ich kennen uns seit einigen Jahren und setzen uns für Inklusion in der Schweiz ein. In einem Gespräch erzählte ich ihm vom politischen Tandem und fragte ihn, ob er das gemeinsam mit mir ausprobieren möchte.

 

Kevin: Ich fand das eine super Idee und wollte direkt starten.

 

Islam: Warum ist es wichtig, dass es politische Tandems gibt?

 

Kevin: Politische Tandems sind vor allem wichtig, damit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen an der Politik teilnehmen können. Die Sprache, die in der Politik gebraucht wird, ist oft kompliziert. Die Unterlagen der Parteien sind nicht in leichter Sprache erhältlich. Wir unterstützen uns gegenseitig und lernen voneinander. Gemeinsam geht es besser.

 

Islam: Warum sollen Parteien solche Massnahmen vornehmen?

 

Lea: Parteien sind das Sprungbrett in die Politik. Nur wer einer Partei angehört, hat realistische Chancen in ein Amt gewählt zu werden. Wenn Parteien also nicht barrierefrei zugänglich sind, haben Menschen mit Behinderungen einen erschwerten Zugang zur Politik.

 

 

Islam: Lea, du hast deine Bachelorarbeit über die Barrierefreiheit von Parteien geschrieben. Wie barrierefrei sind Schweizer Parteien?

 

Lea: Das Ergebnis ist sehr ernüchternd. Nur selten ergreifen Parteien aktiv Massnahmen, um die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Das spiegelt sich auch in der Politik wider. Im Nationalrat amtiert derzeit nur ein einziger Politiker mit einer sichtbaren Behinderung. Im Ständerat und Bundesrat gibt es keine einzigen Politiker*in mit sichtbaren Behinderungen. Menschen mit Behinderungen sind in der Schweizer Politik signifikant unterrepräsentiert.

 

Islam: Warum ist es wichtig, dass Menschen mit Behinderungen in der Politik sind?

 

Kevin:  Wir gehören auch zur Gesellschaft dazu. Wir wollen nicht ausgeschlossen werden. Es dürfen nicht länger Gesetze und Entscheidungen über uns und ohne uns gemacht werden. Islam, du bist der erste Politiker mit Behinderungen, den ich kennengelernt habe. Dank dir weiss ich, dass auch wir in die Politik dürfen. Du bist ein Vorbild für mich. Es wäre das grösste für mich, wenn du in den Nationalrat gewählt wirst. Es wäre ein Zeichen, dass wir auch dazu gehören. Das wäre ein Gewinn für uns alle.

 

Islam: Danke! Das bedeutet mir sehr viel. Möchtest du auch in ein politisches Amt gewählt werden?

 

Kevin: Ja klar. Momentan gibt es keine Menschen mit kognitiven Beeinträchtigten in der Politik, das muss sich ändern. Für die Inklusions-Initiative habe ich Unterschriften gesammelt. Dabei hat mich jemand gefragt, ob er mich wählen kann. Ich habe gesagt, «noch nicht». Das hat mir Mut gemacht und gezeigt, dass mich Leute ernst nehmen. Die Gesellschaft ist jetzt bereit für das Thema.

 

Islam: Was ist euer Ziel mit dem politischen Tandem?

 

Kevin: Wir wollen uns gemeinsam für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzen und die Inklusion in der Schweiz vorantreiben. Wir wollen, dass alle Menschen mit Behinderungen endlich das Wahl- und Stimmrecht erhalten. Wir wollen auch, dass die Inklusions-Initiative durchkommt. Unser grosses Ziel ist es, gemeinsam in ein politisches Amt gewählt zu werden.

 

Lea: Genau, zudem wollen wir das politische Tandem in Parteien etablieren. Das politische Tandem sollte ein Angebot sein, das alle Parteien anbieten. Wir wollen nicht das einzige politische Tandem bleiben. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen dürfen nicht länger aus dem politischen und demokratischen Diskurs ausgeschlossen werden.

 

Islam: Was wünschst ihr euch von der SP und von den SP-Wähler*innen?

 

Lea: Die SP hatte noch keine einzige Poltiker*in mit Behinderungen im Nationalrat. Das muss sich dringend ändern, damit die SP wirklich Politik für alle machen kann. Ich wünsche mir, dass die SP konkrete Massnahmen vornimmt, um die politische Teilhabe von allen Menschen mit Behinderungen in der SP zu gewährleisten. Das politische Tandem, aber auch Gebärdensprache-Übersetzung, leichte Sprache und der barrierefreie Zugang zu Räumlichkeiten sollten Standard sein.

 

Kevin: Ich wünsche mir von der SP, dass sie Menschen wie mich als Politiker*innen ernst nehmen, unterstützen und fördern. Ich wünsche mir, dass auch andere Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen wie ich Politik machen dürfen. Von den SP-Wähler*innen wünsche ich mir, dass sie Islam und andere Poltiker*innen von der Behindertenliste in den Nationalrat wählen. Es braucht mehr Poltiker*innen wie uns in der Politik. Das wünsche ich mir von Herzen. Und irgendwann können sie mich wählen.