Interview Islam Alijaj und Hannes Gassert

Islam Alijaj: wohnhaft in Zürich Albisrieden (verheiratet, zwei Kinder), seit bald 4 Jahren in der SP und gesellschaftlich engagiert. Hannes Gassert: wohnt in Zürich Albisrieden (verheiratet, zwei Kinder), digitaler Unternehmer, sozial bei Flüchtlingsprojekten und politisch in der SP engagiert.

Ihr kandidiert beide für die Nationalratswahlen am 20. Oktober 2019. Was hat euch dazu veranlasst?

Islam: Ich kandidiere, weil es bis jetzt zu wenig behinderte Politiker im Nationalrat hat. Unter den 200 NationalrätInnen gibt es bis jetzt einen einzigen behinderten Politiker. Das entspricht einer Repräsentation von 0.5 %. In der Bevölkerung beträgt der Anteil von Menschen mit einer Behinderung aber 15 – 20 %. Sie sehen das Missverhältnis? Die fehlende Diversität im Parlament sieht man auch an der Altersverteilung, Geschlechtsverteilung und Repräsentation von Bürgern mit Migrationshintergrund. Ich möchte aber in einer inklusiven Gesellschaft leben und das im Nationalrat aktiv mitgestalten.

 

Hannes: Ich kandidiere, weil mir Menschen und Menschlichkeit wichtig sind, und ich die Politik nicht den kalten Zynikern überlassen will. In der Politik hört man dauernd etwas über Sachzwänge, und man könne nichts ändern. Dabei fehlt offensichtlich der Glaube an die Zukunft und unsere Fähigkeit, gemeinsam neue Lösungen zu finden und neue Wege zu gehen. Wir stecken mitten im grössten Wandel der Gesellschaft seit der Erfindung des Buchdrucks: Digitalisierung. Ich möchte, dass wir diese neuen digitalen Werkzeuge zum besten der Menschen nutzen und dabei die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft übernehmen. Wie wir das hinkriegen, ist eine der grossen Herausforderungen unserer Generation. Und ich bin bereit, daran mitzuarbeiten.

Was bringt ihr an Fachwissen und Erfahrung in den Nationalrat?

Hannes: Ich bin Unternehmer im Dreieck zwischen Technologie, Gesellschaft und Kultur. Damit suche ich Wege, auf denen uns Technologie weiterbringt – in Gesellschaft, Demokratie und der Kultur. In meinen Unternehmen gehen wir diese neuen Wege bereits. So habe ich beim Aufbau der Plattform wemakeit.ch mitgearbeitet, auf der via Crowdfunding Geld für innovative Projekte gesammelt werden kann. Bei der Programmierschule für Flüchlinge – Powercoders – gehen wir die zwei Herausforderungen Fachkräftemangel und Integration an und lassen etwas Produktives daraus entstehen. Es sind solche Visionen, solche Problemstellungen, in denen wir einen echten Fortschritt generieren können.

 

Islam: Ich setze mich schon seit ich denken kann für gesellschaftliche Belange ein. Vor drei Jahren wurde mir stärker bewusst, dass ich in die Politik muss, um wirklich etwas bewegen zu können. Dort wird das gesellschaftliche Engagement legitimiert und fachlich oder rechtlich umgesetzt. Ich möchte meine Erfahrung und mein grosses Fachwissen in der Sozialpolitik und dem Bereich IV im Parlament einbringen und dabei auch meine Mitmenschen sensibilisieren.

Welche Themen liegen euch persönlich am Herzen?

Hannes: Wir sind beides Familienmenschen mit je zwei kleinen Kindern. Meine Frau ist ebenfalls Unternehmerin und wir teilen uns die Betreuung der Kinder 50/50. Und wenn man im Alltag sieht, wie schwierig das ist, muss man politisch werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist jeden Tag ein Kampf. In meiner Firma haben wir vor 15 Jahren schon einen 1-monatigen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Und es ist immer wieder schön zu sehen, wie dieser das Zusammenwachsen einer Familie positiv beeinflusst. Wir müssen Arbeitsplätze und Firmen bauen, die für Menschen da sind und nicht umgekehrt. Dies ist meine Art ein Unternehmen zu führen und ich finde so muss unsere Wirtschaft funktionieren.
Wichtig ist mir auch eine aktive Kulturpolitik, welche die Kultur nicht einfach als Beigemüse sieht, sondern als Avantgarde bzw. als Generator neuer Ideen fördert und wahrnimmt. Wir müssen eine aktive Kulturpolitik hinkriegen, die nicht nur Bestehendes bewahrt, sondern uns vorantreibt.

 

Islam: Im Parlament möchte ich mich für ein faires Sozialsystem einsetzen. Vor allem die Invalidenversicherung sollte auf eine inklusionstaugliche Form optimiert werden. Andererseits ist es mir wichtig das Bild von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft zu verändern. Menschen mit Behinderungen sollen auch in der Wirtschaft gleichwertig vertreten sein. Dies kann man aber nicht in einem einzigen Schritt erreichen, dafür braucht es viele verschieden Ansätze. Einer davon ist, dass im Behindertenwesen Platz für unternehmerischen Geist und Innovation geschaffen werden muss. Das Behindertenwesen soll sich der Wirtschaft öffnen und umgekehrt. Nur so können wir die brachliegenden Ressourcen aus der derzeitig abgekapselten Form für die Gesellschaft zugänglich machen.
Es ist mich wichtig zu sagen, dass ich meine Rolle als Wegbereiter für mehr Vertretung von Menschen mit Behinderungen im Parlament sehe. Ich möchte keine Quote sein und nicht der einzige Vetreter von Menschen mit Behinderungen im Nationalrat sein. Sondern ich möchte eine grössere Diversität im Parlament anstossen.

Die SP hat momentan 21% Sitzanteil im Nationalrat. Seid ihr zuversichtlich für ein Linksrutsch im Parlament?

Islam: Die politische Grosswetterlage stimmt zuversichtlich, dass wir alle Sitze halten können und auch mindestens einen Sitz dazugewinnen können. Es ist ein Wandel da, viele Menschen haben genug von „nur alten Männern“ in der Politik. Nicht nur die Altersverteilung sondern auch die Geschlechterverteilung ist sehr wichtig. Und wie schon gesagt, braucht es auch in anderen Gesichtspunkten eine Diversität im Parlament, die die Diversität der Bevölkerung widerspiegelt. Unsere Wahlliste ist im Bereich Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund sehr divers aufgestellt und das stimmt mich zuversichtlich.

 

Hannes: Also ich denke auch, dass es einen Linksrutsch geben wird. Das muss aber nicht zwingend heissen, dass dies zu mehr Sitzgewinn für die SP alleine führt, das wird wahrscheinlich nicht so sein. Damit die SP mit unserer Tradition und allen unseren Werten, die wir verteidigen auch Gewinne realisieren kann, müssen wir insbesondere jetzt in der Klimakrise, die bei diesem Wahlgang das grosse Thema sein wird sicherstellen dass die Wähler*innen verstehen, dass rot das schönste grün ist. Die SP hat schon immer Politik für den Mensch und seine Umwelt gemacht. Beim Kampft gegen die Umweltkrise geht es nebst dem Erhalt der Tier- und Pflanzenwelt, im Endeffekt auch ums Ueberleben der Menschen und den Erhalt unserer Lebensqualität.

Was sollten wir eurer Meinung nach politisch, persönlich und technisch unternehmen um einen Klimakollaps abzuwenden?

Islam: Einfach gesagt, muss der Marshallplan der SP umgesetzt werden. Wir müssen Hand in Hand mit der Innovation und der Technoloige gehen. Aber auch der Staat hat mit gesetzlichen Rahmenbedingungen Verantwortung zu übernehmen. Das sind zum Beispiel Fördermassnahmen für nachhaltige Energie und gleichzeitig Verbote für fossile Brennstoffe. Alleine mit Verboten geht es nicht, sondern es braucht ein Zusammenspiel zwischen Förderung und Verbot.

 

Hannes: Wir müssen Lösungen finden, damit die Gleichberechtigung der Menschen erhalten bleibt. Wir möchten nicht, dass nur noch Reiche fliegen können und ihr Haus am schönen Stadtrand bauen und dann ein Auto nehmen. Wir müssen diese Krise auf eine soziale Art bewältigen. Die grössten Verursacher sollten auch dafür bezahlen.
Ich wehre mich jedoch etwas gegen die individuelle Verantwortung gegenüber der globalen Umweltsituation. Wir werden die Welt nicht mit kleinen Gesten wie Verzicht auf ein Plastikröhrchen retten. Diese grossen Fragen brauchen grosse Lösungen der Firmen, der Staaten und der Politik. Bei umweltschädlichen Produkten sollte man sich ja weniger fragen, warum hast du das gekauft, sondern, warum wird das überhaupt verkauft. In meinem Unternehmen arbeiten wir klimaneutral und das geht hervorragend. Unsere Büros sind bewusst nahe am Bahnhof gelegen, wir haben Firmenvelos, und es werden bei uns strikt keine Flüge gebucht. Sitzungen werden über Videokonferenz gemacht. Wir brauchen nicht mal Parkplätze für unsere Mitarbeiter*innen.

Ihr seid beide schon lange im Kreis 9 aktiv. Könnt ihr Wissen und Erfahrung davon im Nationalrat einbringen?

Islam: Wir würden sagen, dass die Schweizer Politik vom Kreis 9 profitiert. Zürich war schon immer Vorreiter in vielen Belangen in Bern – gerade mit der Lancierung der Velorouteninitiative hat der K9 gezeigt, dass wir eine Pionierrolle innehaben.