Interview mit Céline Widmer
Du bist dieses Jahr zum zweiten mal in den Zürcher Kantonsrat gewählt worden. Mit einem guten Wahlergebnis. Zudem hast du das Präsidium der Finanzkommission übernommen. Nun hast du dich zur Kandidatur für den NR gestellt und bist von den SP Delegierten in den ersten Topf nominiert worden. Du hast somit bisherige überholt. Was hat dich dazu bewegt, dich dieses Jahr zur Nationalratskandidatur zu stellen?
Nach sieben Jahren als Kantonsrätin möchte ich die Bundespolitik mitgestalten. Es ist Zeit, dass der Bund die zukunftsträchtige Politik in den Städten und Agglomerationen nicht mehr behindert, sondern unterstützt. Ich möchte mich im Nationalrat dafür einsetzen, dass sich Städte und Agglomerationen sozial, nachhaltig und ökologisch entwickeln können.
Ich habe mich anfangs Jahr entschieden, für den Nationalrat zu kandidieren, was mich zuerst für die Kantonsratswahlen besonders motiviert hat. Die neuen Mehrheitsverhältnisse ermöglichen im Kanton Zürich endlich eine fortschrittlichere Politik. Es hat mich deshalb auch besonders gefreut, dass mich der Kantonsrat zur Finanzkommissionpräsidentin gewählt hat.
Was sind dir wichtige Themen auf kantonaler Ebene?
Als Präsidentin der Finanzkommission ist mir eine nachhaltige und sachgerechte Finanzierung der Staatsaufgaben besonders wichtig. Schlupflöcher und Steuerwettbewerb untergraben den Wohlfahrtsstaat. Nur eine nachhaltige Finanzpolitik stellt sicher, dass wir unsere Sozialwerke, die Schulen und die Alters- und Gesundheitsversorgung auch in Zukunft bezahlen können.
Was sind deine Kernthemen für welche du dich auf nationaler Ebene einsetzten möchtest?
Am meisten Gestaltungsspielraum hat man in den Kommissionen. Diese kann man sich zu Beginn meistens nicht frei aussuchen. Besonders reizen würden mich sozialpolitische Themen. Damit alle Menschen ein würdevolles Leben leben können, müssen benachteiligte Menschen ausreichend und nachhaltig unterstützt werden. Ich möchte mich zum Beispiel für ein nationales Rahmengesetz für die Sozialhilfe und für schweizweite Familienergänzungsleistungen stark machen. Der Bund muss mehr zur Absicherung derjenigen Menschen tun, die sich nicht selbst über Wasser halten und nicht an der Gesellschaft teilhaben können. Es braucht auch einen fairen Lastenausgleich, damit Kosten für die Sozialleistungen nicht mehr so ungleich verteilt sind zwischen den Regionen.
Was haltest du von der Gleichstellungspolitik in der Schweiz?
Die Schweiz hinkt bei der Gleichstellung im internationalen Vergleich massiv hinterher! Noch immer verdienen Frauen weniger für die gleiche Arbeit und sind in Führungspositionen massiv untervertreten. Auch wenn wir das manchmal nicht wahrhaben wollen: konservative Geschlechterrollen prägen unser Leben nach wie vor. Echte Gleichstellung gibt es nur, wenn wir die veralteten Rollenbilder überwinden. Die Politik kann und muss mehr tun, auf allen Ebenen: Gegen Diskriminierung, für gerechte Geschlechterverhältnisse.
Was braucht es deiner Meinung nach, um unsere Welt vor der Klimakrise zu retten?
Die Klimakrise ist akut, es verträgt absolut keinen Aufschub mehr. Dank der Klimastreik-Bewegung steht die Klima- und Umweltpolitik endlich wieder prominent auf der politischen Agenda und der medialen Bühne. Die Politik muss auf allen Ebenen die Forderungen der Klimastreikbewegung umsetzen. Wir brauchen Massnahmen, um den CO2-Ausstoss pro Person und Jahr bis 2030 auf netto null zu bringen. Die Schweiz muss zusammen mit der internationalen Gemeinschaft dringend Lösungen finden und umsetzen, welche die zukünftige globale Erwärmung auf unter 1.5°C begrenzen.
Wieso bist du politisch aktiv geworden? Seit wann bist du politisch aktiv?
Mein Primarlehrer hat mich politisiert. Mit Klassenkameradinnen habe ich eine «Mini-Greenpeace» gegründet. Und wir haben an der Kreuzung AutofahrerInnen angeschrien, sie sollen bei Rot den Motor abstellen. Was wiederum unserem Klassenlehrer eine Rüge eingebracht hat. Ich bin ihm immer noch dankbar! Parteipolitisch aktiv wurde ich aber erst, als ich während meinem Studium.
Was hast du bis jetzt erreicht oder bist besonders Stolz darauf?
Es war nicht einfach, im bürgerlich dominierten Kantonsrat Mehrheiten zu finden. Trotzdem ist es mir mehrmals geglückt, mit überzeugenden Ideen Brücken zu schlagen, z.B. mit der Abschaffung des Laienrichtertums, die ich im Rat lanciert habe und die wir schliesslich in der Volksabstimmung gegen den Widerstand der SVP gewonnen haben. Ich habe mich mit Erfolg in der Kommission für einen faireren Soziallastenausgleich zwischen den Gemeinden eingesetzt – denn Städte und Agglomerationen wie z.B. die Limmattaler Gemeinden tragen stark überdurchschnittliche Kosten.
Während des Höhepunkts der Flüchtlingskrise 2015 spendete der Kanton aufgrund meines Vorstosses eine halbe Million Franken für Menschen auf der Flucht.
Was hast du für Menschen in deinem Umfeld, die dich in deiner Kandidatur unterstützen?
Ich bin überwältigt von der grossen Wertschätzung meiner politischen Arbeit, die ich bisher während dem Wahlkampf von meinen Freunden und von politischen Weggefährten erfahren durfte. Aber ohne meine Mutter, die mich bei der Kinderbetreuung unterstützt, wäre dieser Wahlkampf gar nicht möglich.
Was ist deine Prognose für das Resultat der diesjährigen Nationalratswahlen?
Ich hoffe auf einen klaren Linksrutsch.