Persönlich-Kolumne: Auf sie mit Gebrüll?
Alle Jahre wieder und in letzter Zeit öfter hört man als linke Politikerin den, vielleicht sogar gut gemeinten, Ratschlag, man solle sich doch gefälligst auch so kernig und deftig ausdrücken, wie dies die (Rechts-)Populisten täten. Und vor allem einfach. Und bitte nicht immer so politisch korrekt. Dann würde die Linke besser gehört. Das glaube ich nicht.
Dass es nichts bringt, noch lauter zu brüllen, das wissen nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, die mit lebhaften Schulklassen zu kämpfen haben. Anstand währt am Längsten. Wer im Gebrüll wirklich gehört werden will, und das über den Moment hinaus, muss klar, sachlich und verständlich reden. Und ehrlich sowieso. Ich bin der Ansicht, dass eine differenzierte Ausdrucksweise keineswegs für die Katz ist. In der Kürze liegt nicht immer die Würze. Und schon gar nicht in verfälschender Vereinfachung. Manchmal muss die Prägnanz im Interesse der Präzision geopfert werden.
Die Sprache ist ein Gradmesser dafür, wie eine Gesellschaft Vielfalt zulässt, sie fördert und sie schützt. Denn: Sprache prägt Denken. Wenn es okay ist, rüpelhaft, ausländerfeindlich, sexistisch oder antisemitisch zu schreiben und zu sprechen, ist es dann bald okay, solches Verhalten auch zu leben? Wir können Minderheiten und Benachteiligte auch durch Sprache schützen und integrieren. Der sprachliche Anstand ist nicht nur linguistische Akrobatik sondern ein Menschenrecht. Er gehört zum Boden für Demokratie und Gleichberechtigung.